Andrea Biswas-Tortajada, Zulay Buchs, Catherine McDonald, Suzanne Varrall
Im Herzen von New York City trafen sich vom 10. bis 12. August 2023 zwölf Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Ländern, Fachrichtungen und Disziplinen zum 8. Business and Human Rights (BHR) Young Researchers' Summit. Seit der ersten Veranstaltung im Jahr 2016 hat sich der Gipfel zu einer etablierten Plattform für Promovierende und Nachwuchsforschende entwickelt, auf der sie ihre Arbeit in einem interdisziplinären und kollaborativen Format vorstellen können.
Die diesjährige dynamische Veranstaltung wurde vom NYU Stern Center for Business and Human Rights mit der Unterstützung der Universität St. Gallen und der Universität Genf ausgerichtet. Der Gipfel stand unter der Leitung der renommierten Professoren Dorothee Baumann-Pauly und Florian Wettstein und profitierte von den Beiträgen herausragender Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen wie Michael Posner, Sarah Dadush und Batia Wiesenfeld.
Drei Themen, eine Botschaft
Das Gipfeltreffen bildete den Rahmen für die Erkundung einer Vielzahl von Themen, aus denen sich drei zentrale Punkte herauskristallisierten: die wesentliche Rolle der Stimmen von Rechteinhabenden, das Fortbestehen asymmetrischer Machtdynamiken und die Bedeutung der empirischen Forschung bei der Bewältigung dieser Herausforderungen. Im Laufe der drei Tage ergaben die Gespräche zu diesen Themen eine durchschlagende Botschaft: die Notwendigkeit und das Bestreben, eine neue Ära des Menschenrechtsschutzes einzuleiten, die sich durch Vielfalt, Selbstreflexion und die konsequente Ausrichtung auf die Rechteinhabenden im Zentrum des Diskurses auszeichnet. Die Macht ihrer Stimmen soll anerkannt und verstärkt werden.
Die Bedeutung der Stimmen von Rechteinhabenden
Die auf dem Gipfeltreffen vorgestellten Forschungsstudien unterstrichen die zentrale Rolle der Stimmen von Rechteinhabenden für das Verständnis von Risiken, die Verbesserung der Rechenschaftspflicht und die Sicherung von Rechtsmitteln im Zusammenhang mit negativen Auswirkungen von Unternehmen auf die Menschenrechte. Sie zeigten aber auch auf, wie das Verhalten von Unternehmen, die Machtdynamik und der BHR-Bereich und -Diskurs selbst Hindernisse dafür darstellen, dass die Stimmen der Rechteinhabenden gesucht, gehört und vorrangig behandelt werden. Die Forschenden dieser multidisziplinären Kohorte betonten die Bedeutung von Ansätzen, die die Stimmen der Rechteinhabenden in den Mittelpunkt stellen, um die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) voranzubringen. In anderen Diskussionen wurde das Potenzial der Zusammenarbeit mehrerer Interessengruppen hervorgehoben, um diesen Stimmen mehr Gehör zu verschaffen, einen sinnvollen Wandel zu fördern und den Status quo in Frage zu stellen.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Stimmen die Macht haben, die Welt zu verändern. Im Kern symbolisiert eine Stimme die Ermächtigung des Einzelnen und macht die grundlegendsten Freiheiten und Menschenrechte geltend. Die Wissenschaftler*innen auf dem Gipfeltreffen betonten, dass die Stimmen der Rechteinhabenden wichtig sind, Fairness und Autonomie fördern und damit die Verantwortlichkeit und die ethischen Standards der Unternehmen vorantreiben. Wenn diese Stimmen fehlen oder unterbunden werden, setzt sich die Unterdrückung fort, für die wir alle die Folgen tragen. Das Schweigen, die Unterdrückung und die Aneignung der Stimmen von Rechteinhabenden werden jedoch häufig durch die asymmetrischen Machtverhältnisse aufrechterhalten, die der internationalen Rechts-, Wirtschafts- und Politikordnung zugrunde liegen - was die Neugewichtung der Machtdynamik zu einem weiteren zentralen Thema des Gipfels macht.
Die Dynamik von Macht und Politik
Die Leitmotive Macht und Politik sowie die enge Verbindung zwischen beiden zogen sich wie ein roter Faden durch den Gipfel. Es wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, wo die Macht ihren Ursprung hat, wer sie ausübt, wie sie ausgeübt wird und welche Auswirkungen sie hat. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Macht der Information, die zunehmende "Vermarktung" von BHR und die globale Nord-Süd-Spaltung gelegt, die bestimmte Informationsquellen privilegiert und die Ungleichheiten zwischen Unternehmen und Gemeinschaften aufrechterhält. Der Gipfel befasste sich auch mit der allgegenwärtigen diskursiven Macht und der Wissensproduktion, indem er die von Unternehmen und Fachleuten gesponnenen Narrative enträtselte und aufzeigte, wie diese zu epistemischen Ungerechtigkeiten führen können.
Die Verbindungen zwischen Politik und Macht wurden auch in Präsentationen deutlich, die sich mit dem globalen Waffenhandel und der russischen Invasion in der Ukraine befassten. Die Teilnehmenden setzten sich mit der Rolle von Unternehmen in unbeständigen geopolitischen Kontexten auseinander und beleuchteten die moralischen und wirtschaftlichen Dimensionen, die mit der Entscheidung eines Unternehmens verbunden sind, sich aus einem Aggressorland zurückzuziehen oder dort zu bleiben. Die Verantwortung von Unternehmen in Zeiten von Konflikten wurde im Hinblick auf inhärent schädliche Produkte und Geschäftsmodelle, die Gewalt begünstigen und verschlimmern, näher beleuchtet.
Der Wert empirischer Erkundungen
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sahen in der empirischen Forschung ein wirksames Instrument zur Bewältigung der miteinander verknüpften Herausforderungen von Machtungleichgewichten und marginalisierten Stimmen. Es gab ein kollektives Bestreben, über theorielastige Argumente hinauszugehen und sich auf den Bereich der Beobachtung und Erfahrung einzulassen, in Anerkennung der unschätzbaren Erkenntnisse, die empirische Forschung liefern kann. Ausgehend von den einzigartigen Kontexten Brasiliens, Australiens, Äthiopiens, Luxemburgs und anderer Länder beleuchteten die Wissenschaftler*innen wichtige Themen wie Umweltvorschriften, Sorgfaltspflichten, moderne Sklaverei, die Beteiligung der Zivilgesellschaft und die Überschneidung von Wirtschaft und Menschenrechten in Konfliktgebieten.
Die Präsentationen von empirischen Forschungsvorschlägen und -Ergebnissen waren beeindruckend in ihrem Bemühen, auf die Herausforderungen der Marginalisierung von Rechteinhabenden und festgefahrenen Machtungleichgewichten zu reagieren. Ein empirisches Forschungsprojekt umfasste Feldarbeit in einem Schiefergasförderbetrieb in der chinesischen Provinz und untersuchte Fragen der Rechenschaftspflicht, der Politik und der Verfahren zur Ermöglichung des Dialogs zwischen Gemeinschaften und Unternehmen. Projekte wie diese versuchen aktiv, die vorherrschenden Diskurse umzugestalten, indem sie empirische Forschungsmethoden in den Vordergrund stellen und Disziplinen einbeziehen, die oft aus den akademischen Debatten und politischen Bereichen des BHR ausgeschlossen waren.
Können wir schon ein neues BHR-Kapitel aufschlagen?
Die Kernthemen konvergierten in einer abschliessenden Reflexion über die Zukunft der BHR-Forschung. In einer Welt, in der Stimmen mit Macht mitschwingen, Wissenschaft über akademische und geografische Grenzen hinausgeht und kritische Perspektiven reifen und gedeihen, ist die Bühne für eine neue Ära der BHR-Praxis und des Denkens frei.
Die Botschaft des Gipfels war unmissverständlich. Die Diversifizierung der Disziplinen, Theorien und Methoden in der BHR-Forschung und -Praxis muss fortgesetzt werden, anstatt einen einzigen Weg in die Zukunft aufzuzeigen. Die Wissenschaftler*innen müssen sich Raum für introspektive und kritische Ansätze schaffen und dabei die Stimmen der Rechteinhabenden in den Vordergrund stellen. Dieses Versprechen wurde durch das Engagement der Teilnehmenden verkörpert, die radikale und monumentale Einfachheit, die dem BHR zugrunde liegt, zu verwirklichen: den Schutz der jedem Menschen innewohnenden und unveräusserlichen Würde und Gleichheit, die nicht durch Unterschiede eingeschränkt wird.