Das Thema (Wirtschafts-) Ethik tritt immer besonders dann auf den Plan, wenn gravierende gesellschaftliche Transformationen auftreten. Die griechischen Philosophen im antiken Athen – massgebliche Begründer der modernen Philosophie und der Ethik – begannen nicht zufällig, sich zu der Zeit eingehend mit Ethik als Gegenstand philosophischer Reflexion zu beschäftigen, als ihre Landsleute ihre anfänglich eher regionalen Handelsbeziehungen «international» ausgeweitet hatten, d.h. im ganzen Mittelmeerraum und darüber hinaus.
Durch die Internationalisierung des Handels, eine erste «Globalisierung» nach damaligen Massstäben, entstanden neue soziale Beziehungen mit Menschen bislang wenig bekannter Kulturen. Sie waren Anstoss und Ansporn dafür, über das neue gemeinsame Miteinander sowie – damit zusammenhängend – über die eigenen Wertmassstäbe und die davon differierenden Werte anderer nachzudenken. Damit deutet sich an, dass Wandel, Kultur und Ethik in einem engen Zusammenhang stehen – drei Begriffe, die für unsere Arbeiten am Institut für Wirtschaftethik zentral sind.
Herausforderung durch moderne Gesellschaften
Wir stehen heute vor ähnlichen und doch ganz anderen ethischen Fragen, denn heutige, moderne Gesellschaften sind funktional ausdifferenzierte (Organisations-) Gesellschaften, die immer weniger über face-to-face-Interaktionen, sondern systemisch funktionieren. Uns interessiert ein speziell wirkungsmächtiges «Funktionssystem» und dabei insbesondere die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von Ethik, Gerechtigkeit und Verantwortung: das Wirtschaftssystem.
Über reinen Sachzwang und Moralität hinaus
Unser Zugang zu solchen Fragen ist multiperspektivisch und interdisziplinär und daher stets kritisch und konstruktiv gegenüber vorherrschenden Weltbildern und Ideologien. Wir vertreten die Auffassung, dass Wirtschaftsethik weder zu affirmativ auf (neoklassischen) Sachzwang-Argumenten basieren kann und sollte noch lediglich Dimensionen eines begründeten moralischen Standpunktes zu entwickeln hat.
Stattdessen soll sie aus unserer Sicht eine Brückenfunktion zwischen Anwendungs- und Begründungsdiskursen ethischer Aspekte in Wirtschaft und Gesellschaft leisten, indem sie – über die ökonomische Analyse hinausgehend – Handlungsorientierungen, soziale Beziehungen, handlungsleitende Institutionen sowie wirtschaftstheoretische und -politische Vorgaben auf ihre (oft impliziten) normativen Grundannahmen durchleuchtet und kritisch analysiert.
Praxisrelevante Angebote und Erkenntnisse
Darauf aufbauend können zum einen praxisrelevante Reflexionsangebote für legitimes Handeln und die sinnvolle Gestaltung von Institutionen in der Wirtschaft formuliert werden. Zum anderen wollen wir auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine international führende Rolle im Bereich der Wirtschaftsethik einnehmen.
Sowohl in der theoretischen als auch in der empirischen/praktischen Beschäftigung mit der Thematik stehen Fragen der Realisierung von Unternehmensverantwortung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Organisations- und Führungsethik
Dabei spielen zum einen organisationale Aspekte (Organisationsstrukturen) sowie Fragen von Mitarbeiter- und Führungsethik für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung eine wichtige Rolle. Zum anderen interessieren wir uns für Fragen der institutionellen An- und Einbindung von Unternehmensverantwortung in die politische und sub-politische Rahmenordnung von Wirtschaft und Gesellschaft.
In dieser Hinsicht knüpfen wir dem Sinne und dem Geiste nach an eine «Integrative Wirtschaftsethik», wie sie insbesondere von Peter Ulrich und Ulrich Thielemann am IWE in über zwei Jahrzehnten entwickelt worden ist, als Mehrebenenmodell einer Ordnungsethik, Unternehmensethik und Bürgerethik an.
Zugleich ist es das erklärte Ziel, die St. Galler Wirtschaftsethik weiterzuentwickeln, in dem im oben beschriebenen Sinne eine stärkere Brückenfunktion zwischen Begründungs- und Anwendungsdiskurs, zwischen idealen und realen Kommunikationsgemeinschaften, zwischen begründeten moralischen Standpunkten und praktischen Implementierungen herausgearbeitet werden soll.
Diese allgemeinen und prinzipiellen Überlegungen unserer Arbeiten am IWE spiegeln sich konkreter in unseren aktuellen Forschungs- und Qualifikationsprojekten wider.